von Lisa, Markus und Hannes (Seminar Wise Interventions)

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Das Semester läuft – die Belastung auch. Viele von uns gehen schon auf dem Zahnfleisch:

Zu viele Lehrveranstaltungen werden kurzfristig verschoben, zu aufwendig sind die Präsenz-ersetzenden Extraarbeiten und neue Prüfungsmodalitäten geben den Rest. Bei Nachfragen, wie es denn zurzeit laufe, rümpfen viele die Nase… und doch verändert sich nichts, melden sich nur Wenige zu Wort. Woran liegt das?

Wir nehmen die Identität der “Studierenden“ an und reihen uns ein, passen uns an die sozialen Normen (Regeln) unseres Milieus an.

Hier kommt pluralistische Ignoranz ins Spiel: Das bedeutet nämlich, dass unser Handeln, nicht etwa von den Ansichten anderer, sondern von unseren Erwartungen über die Ansichten der Gruppe geprägt wird. Gleichzeitig schätzen wir den Gruppenkonsens oft als von unserer Meinung verschieden und uns damit in der Minderheit. Eine Kluft entsteht, zwischen dem was wir denken und was wir als akzeptierte Meinung der Gruppe zeigen.

Dass wir dabei viel größere Unterschiede erwarten als eigentlich messbar, zeigt Pluralistische Ignoranz in vielen Situationen, in denen wir unser Urteil von dem wahrgenommenen Durchschnitt abhängig machen.

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Beispiel aus dem Alltag eines Studenten

Du sitzt in der Statistik Vorlesung und verstehst – nichts. Der Stoff ist weitläufig, die Folien enthalten Fehler, als wäre der Inhalt nicht schon schwer genug. Auf die Frage des Profs, ob es alle verstanden haben, meldest du dich nicht. Denn alle anderen scheinen es zu verstehen, und du möchtest nicht als schwarzes Schaf herausstechen.

Tatsächlich ging es den anderen genauso. Du lagst nur bei der Einschätzung der Gruppenmeinung falsch. Jeder hat vielleicht für sich das Gleiche – wie Du – gedacht, nur gesagt hat es niemand.

Warum vergleichen wir uns?

Es gibt verschiedene stereotype Erwartungen gegenüber Studierenden. Wenn sich zum Beispiel das Semester dem Ende nähert, scheinen oft all die anderen Studierenden sortiert und produktiv. Das sind die unausgesprochenen sozialen Normen, dass zu dieser Zeit andere Interessen hintenanstehen sollten und der Fokus komplett auf der Klausurvorbereitung und den letzten Aufgaben des Semesters liegt.

Wenn man selbst jetzt aber Probleme hat, sich nicht aufraffen kann, oder einfach nicht wirklich vorankommt, entwickeln sich sehr negative Gedanken und Stress, weil man sich mit der vermeintlichen sozialen Norm vergleicht und feststellt, „dass man schlechter als die anderen ist, dümmer, unproduktiver“. Tatsächlich geht es sehr vielen anderen auch so, und diese, ebenfalls wie man selbst, versuchen, ihre Schwierigkeiten nicht zu zeigen, um nicht aus der Masse herauszufallen aufzufallen.

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Warum wir mehr trinken, als wir wollen und sollten

In unserem Seminar hatten wir hier das Beispiel des Alkoholkonsum. Hier zeigte sich, dass die Mehrheit der Studierenden fälschlicherweise annahm, dass ihre Kommiliton:Innen sich deutlich wohler mit dem Alkoholkonsum fühlten als sie selbst. Jedoch fühlten sie sich dem (falsch wahrgenommen) sozialen Druck unterworfen und tranken deshalb auch selbst mehr Alkohol. Eine Intervention, in der die Studierenden über das Phänomen der pluralistischen Ignoranz lernten und durch Gespräche die tatsächliche Einstellung ihrer Kommiliton:Innen besser kennenlernten und gemeinsam reflektierten, half hier. Auch die vermutete durchschnittliche Trinkmenge der anderen wurde niedriger geschätzt und war somit näher an der Realität.

Auf diese Weise konnte der problematische Alkoholkonsum deutlich reduziert werden, insbesondere bei denen, die besonders große Angst hatten, von anderen schlecht bewertet zu werden. 

Beobachten oder Handeln?

Ein weiteres Beispiel der pluralistischer Ignoranz, von dem ihr sicher bereits gehört habt:   Der Bystander-Effect. Bei einem Unfall werden wir hier nur zum Zuschauer und helfen nicht, je größer die Gruppe ist. Wir überlassen die Verantwortung der Gruppe und ordnen unsere eigene Meinung der falsch wahrgenommenen Gruppenmeinung unter („Die anderen denken das ist kein Notfall, also greife ich selbst auch nicht ein“). 

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Corona macht’s möglich: weitere Beispiele

Besonders jetzt während Corona haben wir uns Gedanken über pluralistische Ignoranz gemacht. Dies könnte zum Beispiel bei nicht vorhandenem Hygieneverhalten eine Rolle spielen. Oder bei der Partyeinladung zu Beginn des Semesters, wo du dich selbst vielleicht unwohl gefühlt hast, jedoch (womöglich fälschlicherweise) gedacht hast, alle anderen haben auch kein Problem damit, also gehe ich auch hin. Wäre es aber zum Austausch gekommen, hätte dies vielleicht anders ausgesehen.

Pluralistische Ignoranz, Überall

Die pluralistische Ignoranz tritt natürlich nicht nur im Arbeits- oder universitären Umfeld auf, sondern in sehr vielen weiteren sozialen Bereichen. Für diejenigen, die an weiteren Beispielen interessiert sind, haben wir noch einige Quellen und weitere Artikel am Ende unseres Blogeintrages verlinkt, bei denen man noch mehr über die pluralistische Ignoranz lesen kann.

Zusammenfassend zieht dieses Phänomen einige negative Gedanken und Verhaltensmuster nach sich. Nachdem das kein wünschenswerter Zustand ist….

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Was kannst Du tun?

Zuerst kannst du in einer Situation, in der du denkst, dass du den sozialen Normen nicht entsprechen kannst, oder andere diese besser repräsentieren, an dein neues Wissen über die pluralistische Ignoranz denken. Es geht vermutlich vielen anderen auch so wie Dir. Als nächstes hilft es also, mit den anderen zu reden und sich auszutauschen. Nicht nur darüber, dass du dich nicht gut fühlst, sondern auch was für Werte und Vorstellungen du hast, wenn dir die Aktuellen beispielsweise widerstreben.

Kurzum ist also unsere message an dich: Speak up – Deine Meinung zählt!


Zum Nachlesen und -Schlagen: 

Halbesleben JRB, Wheeler AR, Buckley MR (2007) Understanding pluralistic ignorance: application and theory. Journal of Managerial Psychology 22(1), 65–83.

iResearchNet. (n.d.) Pluralistic Ignorance. Verfügbar unter: https://psychology.iresearchnet.com/social-psychology/decision-making/pluralistic-ignorance/

Reed College. (n.d.). Pluralistic Ignorance. Verfügbar unter: https://www.reed.edu/psychology/pluralisticignorance/

Schroeder, C. M., & Prentice, D. A. (1998). Exposing Pluralistic Ignorance to Reduce Alcohol Use Among College Students 1. Journal of Applied Social Psychology, 28(23), 2150-2180.

Trepp, M. (02.08.2016). Pluralistische Ignoranz. Verfügbar unter: https://passagenproject.com/blog26/2016/08/02/pluralistische-ignoranz/